Dienstag, 8. Februar 2011

Pervasive. (Kurzgeschichte)

J erzählt wie heldenhaft er gefeiert wird, wenn er Neugierigen zu erkennen gibt, dass der Haarfluss seiner Augenbrauen durch eine Brücke getrennt wird, welche infolge einer Pockeninvasion in Form einer Narbe zurückblieb. Mein narbenversetzter Freund, mein Held. Ich erzähle ihm von meinem Auge, das im zarten Alter von sieben beinahe zum Fraß eines rechtssextremen Hundes geworden wäre. Ich erzähle ihm von meinem blutigen russischen Fellmantel und meinen Schritten rückwärts. Von meinem Fall ins Nichts und in die Hände eines Arztes, der mir gegenüber saß mit einem Nagel und Faden und mich zunähte.
Er hat einen Schmerz über meinem Auge zugenäht und der Schmerz hat sich mit der Zeit in mir  ausgebreitet und sich wunderbar eingerichtet. Ich bin sein Glashaus und er ist der Stein, der in mir wohnt und mich je nach Lust und Laune begräbt und bewirft.
Ich schlage J vor, zu allen zu erzählen, er sei in einer Schlacht verletzt worden und ich sei ihm zur Hilfe geeilt und hätte ihn gerettet.
  J war einmal ein Soldat mit einem Bajonett und adeliger Herkunft, damit sei seine auffällig noble russisch-winterliche Blässe betont, er wartete auf feindliche Truppen in einer zerstörten Stadt 1789. Da kam ich nun an, Anführer einer Revolution, ein furchtloser junger Mann, damals schon ein Dandy, mit einer Pfeife. Ich sah nun wie meine Männer auf J losstürmten um ihm das Leben zu nehmen. Seine Schönheit jedoch, die mich zutiefst rührte und mich von meinem schwarzen Ross heruntersteigen ließ, rabte mir den Atem, so dass ich fast hustend meine Hand ausstreckte und schrie ( sang): " Stop, in the name of love!". Und alles hielt für einen Augenblick an, und im nächsten führte ich ihn weg in unbekannte Welten und Revolutionän. Ich beschützte ihn in jedem Krieg und sorgte dafür, dass die Narbe  die einzige Verletzung blieb.
Ich habe J heute geschrieben, dass er ein Poet ist, dann aber habe ich gedacht, dass er ein Gedicht ist, mein längster und liebster Gedicht.
Heute habe ich ihn  mit dem Bergbach vor dem Haus aus  meiner  Kindheit verglichen,  mit dem Walnußbaum, der vor dem Haus stand und mir meine Zukunft zuflüsterte und mit der Trauerweide über mich und meine traurige Liebe trauerte.
Als K gestern sagte, J sei schön, überlegte ich, dass es Js Narbe ist, die ich liebe.

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